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Die politische Odyssee Tansanias:
Zwischen Erbe und Neuanfang

Ein Blick auf die Amtszeit von Präsidentin Samia Hassan und die Herausforderungen eines Landes im Wandel

Nicht wenige Beobachter sind überrascht, dass Samia Hassan auch drei Jahre nach ihrem Amtsantritt noch immer an der Spitze Tansania seht. Die Muslima und Mutter von vier Kindern machte mit der Politik Ihres Vorgängers eine 180-Grad-Wende. Dies nicht ohne Erfolg und Anerkennung. Unser Afrika-Experte Wolfang Drechsler schildert im folgenden Artikel spannende Details zur Politik Tansanias.

Eine gute Kunde hält Tansania für politische Beobachter in jedem Fall bereit: seine vor drei Jahren ins Amt gekommene Präsidentin Samia Suluhu Hassan ist ohne Zweifel eine Verbesserung gegenüber ihrem damals verstorbenen und weitgehend beratungsresistenten Vorgänger John Magufuli, dem einst vielleicht prominentesten Corona-Leugner in Afrika. Von Beginn der Pandemie an hatte Magufuli, der Tansanias Politik ein Jahrzehnt lang dominiert hatte, stets behauptet, sein Land werde aufgrund von göttlichem Beistand von der Corona-Pandemie verschont bleiben. Ende 2020 verkündete er nach einem dreitägigen Gebetsmarathon sogar den vorzeitigen Sieg über das Virus und öffnete das Land. Während zeitgleich vor allem in Westafrika damals Impfkampagnen anliefen, stemmte sich Tansania vehement dagegen - zumindest bis zum plötzlichen Tod Magufulis im März 2021. Nach Angaben der Regierung starb der 61jährige damals aber nicht, wie bis heute gemunkelt wird, an Covid sondern angeblich an Herzbeschwerden, die ihn jahrelang geplagt haben sollen. Ob eine Verbindung zu dem Virus besteht, will bis heute niemand in der Regierung offen sagen

Auch sonst ließ Magufuli Kritik an seinem oft extrem autoritären und sprunghaften Kurs nicht zu. Wegen seines harten Umgangs mit allen Widersachern, darunter auch ausländischen Investoren, wurde er allgemein auch der „Bulldozer“ genannt. Schließlich stoppte er in zunehmendem Grössenwahn sogar die Übertragung von Parlamentsdebatten, in denen er von der Opposition kritisiert wurde. Wenig später wurden auch politische Kundgebungen fast völlig verboten. Viele Oppositionspolitiker und Journalisten wurden damals verhaftet, ohne dass die internationale Gemeinschaft darauf reagierte. Sein Herausforderer Tundu Lissu floh 2020 nach einem Mordversuch an ihm nach Belgien, von wo er erst   im letzten Jahr nach Tansania zurückkehrte.

Wegen seiner lässigen Haltung gegenüber dem Virus hatte Tansania auch früh für eine Rückkehr zu Handel und Tourismus geworben - und gleichzeitig Lockdowns, wie sie in fast allen anderen Ländern der Welt praktiziert wurden, ganz bewusst vermieden. Alles, so hiess es, sollte in Tansania normal weiterlaufen - ohne Ausgangsbeschränkungen und Abstandsregeln. Auf diese Weise wurde die Ferieninsel Sansibar vor der Küste des Landes zum Hotspot für Pandemie-müde Partygänger aus der ganzen Welt.

Nicht wenige Beobachter sind überrascht, dass Magufulis Nachfolgerin Samia Hassan nach dieser Vorgeschichte auch drei Jahre nach ihrem Amtsantritt noch immer an der Spitze des ostafrikanischen Staates seht. Als sie im März 2021 ihren kurz zuvor verstorbenen Vorgänger John Magufuli im Präsidentenamt beerbte, hatten viele allenfalls an eine Übergangslösung geglaubt. Zwar war klar, dass Samia Hassan als Vize ihres (vor allem bei den Armen beliebten) Vorgängers zunächst automatisch an die Staatsspitze aufrücken würde. Doch galt sie vielen als zu blass und wenig durchsetzungsfähig. Zumal an der Staatspitze viele Christen das Sagen haben, denen die Führung des Landes durch eine Muslima wenig zu behagen schien. Hinzu kamen die Vorbehalte auf dem tansanischen Festland: Die 64jährige stammt von der kleinen, halbautonomen Insel Sansibar, die in der Politik des Landes seit der Unabhängigkeit eine Sonderstellung hat. Auch wurde Hassan nachgesagt als „Quotenfrau“ keine echte Hausmacht in einer Staatspartei zu haben, die seit der Unabhängigkeit im Jahre 1961 ununterbrochen an der Macht ist.

Was ihr zum Machtantritt jedoch zugutekam, war ihr Bemühen, in der stark umstrittenen Coronapolitik des Landes sofort einen neuen Weg einzuschlagen. Hassans radikale Kehrtwende verschaffte ihr nicht nur im Land selbst sondern auch international frühzeitig grössere Aufmerksamkeit. Für Tansania war die Neuausrichtung schon deshalb ein Segen, weil die Folgen der Pandemie überall spürbar waren.  Ein weiterer wichtiger Schritt der Präsidentin bestand später darin, auch schwangere Mädchen, die unter ihrem Vorgänger von den Schulen verbannt worden waren, wieder zum Unterricht zuzulassen.

Seitdem hat die vierfache Mutter, die an der Universität Manchester ein Diplom in Wirtschaftswissenschaft machte und danach in der Regierungspartei von einer Sachbearbeiterin zur Ministerin aufstieg, jedoch einen grossen Teil der anfänglichen Dynamik verloren, Ihren Worten sind kaum Taten gefolgt und die von Magufuli bekämpfte Korruption ist zurück, so dass sich derzeit eine gewisse Nostalgie nach seiner Ära breitmacht.

Immerhin hat Hassan im vergangenen Jahr nun endlich das Versammlungsverbot für die Opposition aufgehoben. Seitdem hat sich die politische Lage auch deshalb entspannt, weil die Staatschefin nicht wie Magufuli gegen Unternehmer als ausländische Imperialisten hetzt, die das Land ausrauben wollten, sondern aktiv um Investitionen wirbt.  Auch beim wichtigen Thema Familienpolitik hat sie sich neu positioniert. Während ihr Amtsvorgänger stets offensiv für mehr Geburten warb und Benutzer von Verhütungsmitteln als „faul“ beschimpfte, setzt Hassan auf Familienplanung. Was keinen Moment zu früh kommt: Erst im vergangenen Jahr bestätigte eine Volkszählung eine UN-Vorhersage, wonach Tansania zu insgesamt acht Ländern zählt, die gemeinsam für die Hälfte des weltweiten Bevölkerungswachstums bis 2050 verantwortlich sein dürften. Fast alle davon liegen in Afrika.

So ist die tansanische Bevölkerung allein in den letzten zehn Jahren von 45 Millionen auf derzeit rund 60 Millionen gestiegen. Das bedeutet ein jährliches Wachstum von 3,2 Prozent, eine der höchsten Raten der Welt.  Seit den ersten offiziellen Angaben 1967 hat Tansanias Bevölkerung jährlich fast drei Prozent zugelegt. Pro Jahr kommen dadurch 1,7 Millionen Bürger neu dazu, die gesundheitlich versorgt werden wollen und einen Job brauchen. Schon Ende der 2030-er Jahre könnte Tansania die Schallgrenze von 100 Millionen Menschen überschreiten - und damit hinter Nigeria, Äthiopien und dem Kongo auf Platz vier in Afrika kommen. Das wären 40 Millionen mehr als heute. Allein in Daressalam dürften dann beim bisherigen Wachstum mindestens 8,5 Millionen Einwohner leben. Eine absurd hohe Zahl angesichts der fehlenden Infrastruktur.      

Damit der Umfang der (schon heute eher geringen) sozialen Leistungen pro Einwohner nur halbwegs konstant bleiben kann, wäre jedoch ein Wirtschaftswachstum von mindestens zehn Prozent nötig. Seit 2020 liegt der reale Zuwachs bei etwa vier Prozent. Über die Hälfte davon wird jedoch von dem extrem hohen Bevölkerungswachstum gleich wieder aufgezehrt. Ein Teufelskreis, dem Tansania auch unter Hassan noch nicht entronnen ist - und angesichts der zuletzt kaum mehr vorangekommenen Reformen auch wohl kaum schnell entrinnen wird.