Moral gehört mit ins Reisegepäck

Interview mit Michael Mettler

Reiseexperte Michael Mettler erklärt, warum seines Erachtens Mobilität teurer werden muss und weshalb jeder von uns eine persönliche Bucketlist haben sollte. Es sind Sommerferien und Zeit der Klimaproteste. Sich vor der Reise ein paar Gedanken machen, statt einfach ein hübsches Hotel am Traumstrand zu buchen - genau hier fängt ethisches Reisen an. Da wäre beispielsweise die Frage nach dem ökologischen Fussabdruck, den man durch seine Reise hinterlässt. Ebenso spielen soziale Aspekte, wie etwa die Einhaltung von Menschenrechten in den Reiseländern, eine Rolle. Das alles unter einen Hut zu bringen ist anspruchsvoll. Michael Mettler, Geschäftsführer Helbling Reisen in Gossau, gibt einen Einblick, wie klimaschonend und sozialverträglich Ostschweizer ihre Ferien planen.

Herr Mettler, wohin zieht es Sie diesen Sommer in die Ferien?

Michael Mettler: Zusammen mit meinen 12- und 10-jährigen Jungs reise ich nach Åland. Dort haben wir für zehn Tage ein Ferienhäuschen direkt am Meer gemietet. Ich plane unsere Familienferien jeweils nach dem Leitsatz, dass entweder die Reise an sich ein Erlebnis sein soll oder wir vor Ort Einiges in der Umgebung erkunden. So werden wir dieses Mal drei Tage in St. Petersburg sein, bevor wir mit Zug und Fähre zur Inselgruppe zwischen dem finnischen und schwedischen Festland weiterreisen.

Apropos Schweden: Für den umweltbewussten Verzicht aufs Fliegen gibt es im Schwedischen den Begriff «Flygskam» – Flugscham. Leiden Sie persönlich an diesem Syndrom?

Nein, nicht direkt. Ich bin der Ansicht, dass man Reisen und insbesondere Flugreisen differenziert betrachten muss: Was hat der Tourismus für positive Effekte im Land? Welchen wirtschaftlichen Nutzen bringt die Tourismusbranche der jeweiligen Destination? Erhält dadurch die einheimische Bevölkerung mehr Arbeit und Bildung? – Reisen gehört nun mal zu den Urmotiven der Menschheit. Wir wollen Neues sehen und entdecken. Dieser innere Trieb lässt sich nicht so einfach unterbinden.

Dann sind Ihrer Meinung nach die ganzen Klimastreiks und -diskussionen für die Katz?

Keineswegs. Ich finde es sehr wichtig, dass die Sorge um unseren Planeten ins Zentrum des gesellschaftlichen Bewusstseins gerückt ist. Erfreulich ist dabei vor allem das Engagement unserer Jugend, die so hoffentlich die Politik wachrüttelt und etwas bewirken kann.

Nichts desto trotz sind wir mobil wie noch nie. Was müsste sich ändern, damit unser Globetrotter-Dasein klimaschonender wird?

Damit unsere Mobilität grüner wird, müsste sie vor allem teurer werden. So finde ich es beispielsweise sehr fragwürdig, dass Kerosin nach wie vor der einzige Treibstoff ist, auf den es keine Mineralölsteuer und CO2-Abgabe gibt. Dieses Abkommen aus dem Jahr 1945 müsste dringend revidiert werden. Fliegen ist heute einfach zu günstig. In einer Welt, wo man für 99 Franken einen einstündigen Alpenrundflug buchen kann, sind die Anreize auf einen Flugverzicht einfach zu gering.

Beobachten Sie in Ihrem Berufsalltag, dass Reisewillige weniger fliegen oder vermehrt CO2-Kompensationen bezahlen?

Dass Kunden von sich ihr Augenmerk auf klimaschonendes Reisen legen oder uns proaktiv auf CO2-Kompensationszahlungen ansprechen, ist sehr selten. Wenn wir aber unsere Kunden in Beratungsgesprächen explizit auf Möglichkeiten wie «myclimate» sensibilisieren, sind Ostschweizer durchaus bereit, mit einem finanziellen Beitrag an Umweltorganisationen ihren ökologischen Fussabdruck zu mildern.

Zeigen Sie jeweils Ihren Kunden Angaben zur Sozial- und Umweltwirkung ihrer jeweiligen Reise auf?

Eine unserer Kernkompetenzen ist die Ausarbeitung massgeschneiderter Individualreisen. Dabei ist es schwierig, vorab genau zu eruieren, wie gross beispielsweise der CO2-Ausstoss des Überlandzuges oder der Fähre ist. Auch können wir im Vorfeld nicht wissen, wie viele Kilometer mit dem Mietauto gefahren werden. Diese verschiedenen Faktoren verunmöglichen eine verbindliche Aussage über die effektive Umwelteinwirkung. Auf unserer Webseite ist aber eine Rubrik zu finden, worin ökologische und sozialverträgliche Reise-Packages zu finden sind. Zudem arbeiten wir mit langjährigen Reiseveranstaltern wie «tourasia» oder «Kontiki» zusammen, von denen wir wissen, dass sie nach strengen sozial- und klimakritischen Richtlinien agieren. Am Ende muss aber jeder selbst entscheiden, welche ethischen und klimatischen Massstäbe er an seine Reise anlegt. Ethisch denken und handeln hat schliesslich immer etwas mit Eigenverantwortung zu tun.

Was muss man sich konkret unter den erwähnten sozial- und klimakritischen Richtlinien vorstellen?

Unsere Partner haben beispielsweise Filialen vor Ort und somit direkten Einfluss und die Kontrolle, dass in den Hotels und Lodges eng mit der einheimischen Bevölkerung zusammengearbeitet wird. Sie legen grossen Wert darauf, dass diese faire Löhne erhalten. Ethische Reiseveranstalter engagieren sich zudem im Bereich Bildung und Schulung. Ortskundige, mehrsprachige und kompetente Tour-Guides fallen schliesslich nicht einfach vom Himmel.

Ethisches Reisen ist im Zuge der aktuellen Klimadiskussionen vermehrt ein Thema. Merken Sie dies auch bei Beratungsgesprächen in Ihrem Reisebüro?

Sozialverträgliches Reisen ist bei Schweizer Reisewilligen hoch im Kurs. Sie wollen in ihren Ferien grossmehrheitlich mehr über Land und Leute erfahren und lernen. Die Phase des All-Inclusive-Vollkonsums und der Massenabfertigungen sind definitiv passé.

Viele Schweizer reisen in den Sommerferien ans Meer. Weshalb meinen wir, uns in der Ferne besser erholen zu können?

Es liegt wohl in unserer DNA, dass wir immer auf der Suche nach dem Andersartigen sind. Wir suchen in unseren Ferien das, was wir zu Hause nicht haben. Smaragdgrüne Traumstrände werden deshalb vermutlich immer eine Sehnsucht von uns Mitteleuropäern sein.

In den Ferien erhoffen wir uns Erholung, Ruhe, Sonne, Zeit für unsere Liebsten, Natur, Kultur und Abwechslung. Haben Sie den Eindruck, dass durch diese hohe Erwartungshaltung Ferienabsicht und Reiseverhalten oftmals auseinanderklaffen?

In unserem Unternehmen machen wir immer sogenannte «Welcome-Back-Calls». Dabei stellen wir fest, dass beim Gros unserer Kunden ihre Erwartungen an das Reiseziel vollauf erfüllt oder bestenfalls sogar übertroffen wurden. Dank Internetrecherchen gelangen Reisewillige jeweils mit sehr konkreten Vorstellungen an uns. Unsere Aufgabe ist es dann, diese Pläne zu verfeinern und dank unseres Fachwissens das eine oder andere Extra einzuflechten.

Ist bei der Festlegung des nächsten Ferienziels neben Klimaschutz auch die Sicherheit ein entscheidendes Kriterium?

Sicherheit ist für die Meisten der wichtigste Entscheidungsfaktor. Wir halten uns strikte an die Reiseempfehlungen des eidgenössischen Amtes für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Dies im Bewusstsein, dass solche Richtlinien massive Auswirkungen auf Land und Leute haben. Ein aktuelles Beispiel ist Sri Lanka. Die Anschläge an Ostern haben für die Bevölkerung, die stark vom Tourismus abhängig ist, einschneidende Folgen. Die Saison 2019 ist für die srilankische Tourismusbranche gelaufen.

Ihre Mitarbeiter präsentieren auf der Firmenwebseite ihre persönlichen Bucketlists. Weshalb sollte Ihrer Meinung nach jeder eine persönliche Reise-Bucketlist haben? Was ist aus dem guten alten «der Weg ist das Ziel» geworden?

Eine solche Wunschliste kann eine Inspirationsquelle sein. In vielen Reisebüros erwarten Reisewillige im Eingangsbereich als Erstes Stellwände mit Auflistungen von Preisen und Gebühren. Das fördert die Reiselust meiner Meinung nach nicht wirklich. Indem wir unsere persönlichen Bucketlists offen legen, erlebe ich oft, dass sie ein emotionaler Einstieg in ein Kundengespräch sind. Eine Bucketlist kann man ja nicht nur fürs Reisen, sondern auch für Beruf oder familiäre Ziele kreieren. Ich finde es bereichernd und motivierend, mein Leben vor diesem Hintergrund zu führen, dass ich mir auf meinem Weg gewisse Wünsche erfüllen will. Diese müssen ja nicht sakrosankt sein.

Eine Bucketlist scheint aktuell ebenso ein Muss zu sein, wie sich von Instagram-Influencern beeinflussen zu lassen. Was halten Sie von solchen Werbeträgern?

Die Tourismusbranche lebt von Emotionen und schönen Bildern. Von diesem Standpunkt her betrachtet, unterstützen Influencer mit ihren Beiträgen die Reiseindustrie. Sie dienen vielen Fernwehgeplagten als Inspirationsquelle.

Die Kehrseite von solchen Instagram- und Facebook-Beiträgen ist nicht selten, dass bisherige Geheimtipps plötzlich von Menschenmassen überflutet werden. Befürworten Sie eine Regulierung der Touristenströme, wie es aktuell beispielsweise Venedig ins Auge fasst?

Es darf nicht sein, dass sich die einheimische Bevölkerung aufgrund von Besuchermassen nur noch sehr eingeschränkt bewegen kann und kaum mehr bezahlbaren Wohn- oder Gewerberaum findet. Eine Regulierung ist deshalb meiner Ansicht nach der einzige gangbare Lösungsweg.